Christine Glock  -  Natur „Ansichten“
Kultur am Kelterberg, Vaihingen
Einführung: Gabriele Pfaus-Schiller

„Der Mensch ist Teil der Natur und nicht etwas, das zu ihr im Widerspruch steht“. Dieser Satz von Bertrand Russell vermag leicht zu überzeugen.
Doch verhält es sich wirklich so einfach?
Man bedenke: der heutige Mensch wird nicht in die Natur hinein geboren, vielmehr erfährt er sie als verzerrtes Produkt einer Kultur- und Tourismusindustrie. Wir kennen ja alle die Geschichte von den Kindern, die allen Ernstes glauben, Kühe seien wirklich lila. Und der Trend zur Wellness-0ase, in der das Wetter keine Rolle mehr spielt, scheint unaufhaltsam.

Der moderne Mensch trachtet kaum danach, wie einst die Romantiker, mit ihr zu verschmelzen, vielmehr, sie zu beherrschen. Gleichzeitig treibt es ihn stets „an den Busen der Natur“ zurück. Schön gilt uns ihr Blühen, ihr Gesang, ihr Rauschen und Rascheln. Uns fasziniert das Erhabene, das zugleich den Schauder der Gefahr birgt.
Wir ahnen, dass es etwas gibt, das sich dem globalen Zugriff von Wissenschaft, Technik und Marktzwängen verweigert.

Natur, dabei aber auch die Frage nach der Stellung des Menschen in der Natur, ist ein Faszinosum, das die in Stuttgart lebende Künstlerin Christine Glock beschäftigt und bewegt. Sie begann 1980 mit einer intensiven Zeichenarbeit, welche im Übrigen in ihrer Malerei stets sichtbar blieb. An verschiedenen Instituten widmete sie sich dem Studium der Kunst: an der Merz-Akademie, der Stuttgarter freien Kunstschule, der Kunstschule Filderstadt in den Workshops von Albrecht Weckmann und an der Stuttgarter Kunstakademie in den Bildbesprechungen bei Prof. Stockhausen. Ihr war und ist an der Reflexion ihrer künstlerischen Arbeit gelegen, in der sie sich stets mit besonderem Interesse dem menschlichen Körper und der Landschaft zuwandte.

Den Ausgangspunkt ihrer Natur „Ansichten“, so der Ausstellungstitel, bilden Skizzen, die auf Reisen, vorzugsweise in die Provence und in die Fjordlandschaft Norwegens, entstehen.
Die Erde, der Urgrund der Natur, nimmt auf den vom Süden inspirierten Leinwänden greifbare, fühlbare Gestalt an. Ihre Materialien sind fertige Acrylfarben, jedoch nur weiß, rot und blau, daneben schwarze Tusche, vor allem aber Pigmente, die aus Erde und Gestein gewonnen wurden, häufig also Ocker in allen seinen gelben und roten Tönungen. In vielen Schichten werden die Farben aufgetragen, Fundsachen wie Blätter, Gräser, Erde und Sand hinein gebettet. Linien, die Maserungen, Wege, Spuren sein könnten, auch rätselhafte Zeichen sind eingeritzt, hier und da sind menschliche Figuren erkennbar.
Spuren hinterlassen also die Natur wie auch die Künstlerin selbst in den Bildern.

Die warmen Ocker-Töne empfindet man als angenehm, warm und wohlig, dabei auch von einer Art Glühen und Beben durchdrungen.
Man meint in die Tiefen eines unfassbaren Urgrundes zu blicken und ahnt doch, dass es nur fragende Einblicke sein können, die uns hier gegönnt werden. Da wird angedeutet und zugleich verborgen, es entstehen geologische oder archäologische Schichten, es werden Erdgeschichten erzählt.

Ebenso scheint an manchen Stellen das helle Blau einer Himmelsferne durch, Beziehungen zur himmlischen Sphäre andeutend. Die Stellung des Menschen zwischen Himmel und Erde wird hier angesprochen – ein weites Feld, wenn man es recht bedenkt.

Die Erde, die hier so lebendig und vielgestaltig auf den Leinwänden erscheint, ist durchdrungen von dem Fühlen und Denken der Malerin, man hat den Eindruck, sie nimmt die Erscheinungen der Natur in sich auf, um sie im Malprozess auf die Leinwand zu übertragen. Manchmal geschieht dies sehr direkt, wenn sie eine Papierfahne auf ein Flussbett legt oder auf eine Holzlatte und nach Art einer Frottage einen Abdruck nimmt. Es ist am Betrachter selbst, Bilder, Figuren oder Landschaften, ganze Geschichten darin zu entdecken. Energie schwingt in allem, und macht erfahrbar: die Natur ist bewegt, es gibt keinen Stillstand. Doch es ist eine ruhige Bewegung, die im Großen spürbar wird, und sich bis ins Kleinste fortsetzt.

In den norwegischen Landschaften findet sich, bei reduzierter Farbigkeit, eine klar geformte, filigrane Kühle und Stille. In ihnen kommt in zarter Andeutung die schroffe Gegensätzlichkeit zum Vorschein, man spürt intensiv die majestätische Kraft der Landschaftsform. Es sind zarte, fast skizzenartige Bilder, welche die Zeichen und Figuren der Landschaft in feine Linien nachvollziehen.
Eine Art Fries im Vorraum ist nicht wie die anderen Bilder eine Umsetzung ihrer Reiseskizzen. Vielmehr sind es die Skizzen selbst, die hier miteinander in Verbindung und zu einer neuen Einheit zusammen gebracht wurden. Blätter aus dem Skizzenblock wurden aneinander gereiht, danach ging die Zeichnerin mit dem Stift auf Reisen, um Verwandtschaften und Beziehungen, Trennungen und Brüche in der Landschaft nachzuempfinden und zu verdeutlichen.
Vom der Zeichnung wissen wir, dass es die ursprünglichste Kunstäußerung des Menschen ist. Sie entspricht in ihrer Klarheit den Kritzeleien des Kindes, dem nicht Vernunft, sondern Intuition die Hand führt.
Hier ist der zeichnende und malende Gestus nicht emotional, schnell, groß, sondern er wirkt langsam, vorsichtig, einfühlend.

Eine andere Seite der Künstlerin wird in Bildern deutlich, die von einer leuchtenden Farbigkeit und von Dynamik geprägt sind. Auch hier gibt es eine Art Urgrund, auf ihm entfalten sich malerische Prozesse von einer lebhaften Gestik, die Farbe ist stark verdünnt, sie spritzt und fließt, hier hat sich die Malerin einem freien Ausdruck anvertraut.

Mir fiel in diesem Zusammenhang eine Erkenntnis von Wittgenstein ein: Man lerne eine Sprache durch deren Gebrauch, nicht, indem man zuerst ihre Regeln paukt. Es scheint, als verhalte es sich bei der Natur ganz ähnlich: man erfährt sie nicht, indem man ihre Gesetze studiert, sondern indem man schaut, horcht und fühlt.
In Christine Glocks Bildern ist zu erleben, wie sie sich dem Wesen der Natur tastend nähert, sie durchdringt, ohne ihr etwas anzutun.

Es scheint, als suchte sie im Erkunden der Ansichten der Natur nach Einsichten. Diese Suche kann man nachvollziehen, indem man den Prozess der Entstehung zurück verfolgt - unter die bewegte, von feinen Spuren durchzogenen Oberfläche, dorthin, wo der Nährboden zu vermuten ist für die Bewegung der Natur.

Was ist Natur? Was uns umgibt – das mag kaum ausreichen, sie zu fassen. Das was wächst um uns herum, das schon eher. Ebenso: alles, was sich aus eigener Kraft bewegt. Auch Wachstum ist ja Bewegung.

Die Natur ist also etwas, das sich nicht nur von einem Ort zum anderen bewegt, sondern auch aus sich heraus und wieder in sich hinein.
Die Stellung des Menschen in der Natur – es scheint, als sei sie zu finden, indem man sich ihrer Bewegung, ihrem Fließen anvertraut.

Als ich diese Bilder sah, fielen mir die Bilder Caspar David Friedrichs ein. Darin ist die Natur in ihrer erhabenen Schönheit und Bedrohlichkeit zu bewundern. Und auch hier begegnet man der Frage nach der Stellung des Menschen in ihr: das Bildpersonal ist uns abgewandt, schaut in eine unbestimmte Ferne, scheint zu ahnen, dass es etwas gibt jenseits von Zeit und Raum, das nicht mit den vom Menschen formulierten Naturgesetzen zu fassen ist.

In Christine Glocks Bildern gibt es diesen Menschen, angedeutet, manchmal auch ganz körperhaft präsent. Wie in einem Spiegel sehen wir uns selbst schauend und empfindend, den Blick auf einen fernen Horizont oder auch ganz nah.

Wir alle sind zwangsläufig mit der Frage nach der Natur, nach der Möglichkeit ihres Erhalts befasst. Sie zu retten, die gebeutelte Natur, ist Aufgabe aller.   Wissenschaftler und Politiker müssen dies vorantreiben, das ist nicht Aufgabe der Kunst. Wenn es für sie denn einen Auftrag gäbe, dann vielleicht der, die Wahrnehmung auf das Wunder zu lenken, das wir im Begriff sind zu zerstören. Christine Glock tut dies auf subtile und feine, dabei auch stille Weise. Ihre Bilder sind empfindsamer Ausdruck einer eigenen Suche.

Ihre Bilder erzählen von einer anderen als der fragwürdigen Herrschaft, die der moderne Mensch über die Natur zu erobern sucht. Sie öffnet den Blick des Betrachters, ohne ihn zu führen, ihre Bilder sind Ansporn, eine Antwort für sich selbst zu finden.


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