Einführung / Auszug
Prof. Dr. H. Bathelt / Ausstellung art&interieur Herrenberg
10/2003


"... Eine solches Bekenntnis zur Emotion des Abgebildeten ist uns dann vertraut, wenn wir uns bei den Erfindern dieser Ausdrucksform umschauen; wenn wir - und die Künstlerin gibt diese Quelle gerne selber an - an Per Kirkeby denken. Gerne zeigte ich Ihnen jetzt sein Großformat „Skumring" (Sonnenuntergang) von 1983/4, oder etwas aus seiner „Inventory" Serie, die zehn Jahre später entstanden ist, vom Linienfiligran vieler seiner Papierarbeiten von 1995 ganz zu schweigen. Und auch er steht ja auf Schultern: z.B. auf denen Robert Motherwells. Hier wäre „Summertime in Italy (with Blue) von 65/66 ein Beispiel.
Da Sie die erwähnten Arbeiten wohl kaum einfach aus dem Gedächtnis abrufen können: hat ihre Nennung offensichtlich eine andere Funktion. Sie beweist ein Herkommen, zeigt dass hier an eine Tradition angeschlossen wird, an eine große Tradition mit weltbekannten Namen, an Bilder, die in den wichtigsten Museen hängen, an eine Kunst, die einen wesentlichen Beitrag zur Kunstgeschichte geleistet hat: nämlich eine Lösung aus dem Dokumentarischen und Mimentischen zugunsten des Unmittelbaren und Empfindlichen.


Diese Unmittelbarkeit hat z.B. Ausdruck gefunden im Aufspritzen von Farbe, in einem zügigen Malduktus und expressiven Malgestus in hiebartigen Linien oder Hieroglyphen, die in die Farbe einschneiden, in willkürlich erscheinenden Flächenkompartimenten, die auf eine neue Art von Konstruktion verweisen: eine neue Bildarchitektur erfinden.


Die Künstler des action painting, des Tachismus, im Informel, im Automatismus - was man gewöhnlich unter abstraktem Expressionismus subsumiert - diese Künstler haben für ihre Arbeiten auch nicht jedesmal die ungezügelte Emotion abgerufen, sondern im eben angesprochenen Repertoire variiert und auch Christine Glock­Rühling verfährt hier nicht anders. Ihr Einsatz von Spontaneität in der Farb- und Formbewegung ist nie beliebig. Er zielt auf die gestaltete Fläche. Wer meint, dass der breit geführte Farbfluss Zufall sei, dass die Individualisierung des Bildes durch eingeritzte Zeichen nach Gutdünken erfolgte: sollte das nur einmal selbst ausprobieren. Das abstrakt expressive Kunstwerk ist keine Sammelsurium von Zufällen oder gar von Trunkenheit am Pinsel. Es ist in der Regel das Ergebnis von Steuerung durch disziplinierten Einsatz gestalterischer Mittel.


Christine Glock-Rühling hat sich bei ihren Vor-Bildnern umgesehen: und etwas bei de Kooning entdeckt, anderes bei Franz Kline, bei Clyfford Still und auch Mark Rothko ist ihr nicht entgangen.
Die Spezifika der sorgsam studierten Künstler führt sie nach freier Wahl zusammen, damit sie ihre eigene Spezifik formulieren kann.


Im Ergebnis entsteht so etwas absolut Persönliches. Es entsteht eine lyrische Abstraktion von kontrollierter Emotionalität, eine Dynamik, der das bloß Überschießende verweigert wird und ein Bilddenken, das sich aus dem Eigenen heraus dem Anderen zuwenden kann und nahe an der menschlichen Figur bleibt.
..."





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